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Schematische Darstellung der Anwendungsbereiche der Sektorenkopplung

Sektorenkopplung: Intelligente Verzahnung des Energiesystems

Der Begriff der Sektorenkopplung ist untrennbar mit der Energiewende und den damit einhergehenden Herausforderungen verbunden. Je nachdem, aus welcher Perspektive heraus das Thema betrachtet wird – sei es aus der Technologie-, der Infrastruktur- oder der Systemebene – stehen unterschiedliche Elemente der Sektorenkopplung im Fokus.

Grundlegend meint Sektorenkopplung die Nutzung überwiegend erneuerbar erzeugten Stroms in Anwendungen, die sowohl

  • die klassischen Verbrauchssektoren der Energiewirtschaft (Haushalte, Gewerbe, Handel, Dienstleistung, Industrie und Verkehr),
  • die unterschiedlichen Energieträger und Endenergieformen (Strom, Wärme/Kälte sowie Kraft- und Brennstoffe)
  • als auch die zugehörigen Infrastrukturen (Strom-, Gas-und Wärmenetze) miteinander verzahnen[1].

Zielsetzung und zugrundeliegende Problemstellung 

Dahinter steht das Ziel, die – teilweise noch dominierend vorherrschende – Nutzung von fossilen Energieträgern in diesen Bereichen durch regenerativ erzeugten Strom oder nachhaltige Energienutzungsformen zu ersetzen. In der Folge kann die Sektorenkopplung einen enormen Beitrag zur systemweiten Senkung von Treibhausgasemissionen leisten und stellt damit einen vielversprechenden Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität dar.

Die Relevanz der Sektorenkopplung ergibt sich allerdings noch aus einem weiteren, eng damit in Verbindung stehenden Aspekt. Die Abkehr von fossilen Energieträgern – was für die Erreichung der Klimaschutzziele unverzichtbar ist – bringt die Notwendigkeit eines verstärkten Ausbaus der erneuerbaren Energien mit sich. Der Anstieg der Stromerzeugung aus fluktuierenden erneuerbaren Energieträgern kann dazu führen, dass das örtliche und zeitliche Stromangebot nicht mit der Nachfrage im Energiesystem übereinstimmt. Da die erneuerbare Energieerzeugung größtenteils wetterabhängig ist und sich ihre Erzeugungskapazitäten nicht am jeweils aktuell bestehenden Bedarf ausrichten, kann es beispielsweise zu einem Überangebot von Strom kommen. Um das Energiesystem in derartigen Fällen sicher und stabil zu halten, müssen erneuerbare Erzeugungsanlage bisher noch abgeregelt werden. Umgekehrt können ungünstige Witterungsbedingungen dazu führen, dass nicht ausreichend erneuerbarer Strom produziert wird, um die Nachfrage zu decken.

Innovative Projekte mit großer Themenvielfalt
Sektorenkopplung in Nordrhein-Westfalen

Im Kontext der Energienetze und -versorgungssysteme zeigen Forschende in Nordrhein-Westfalen aussichtsreiche Lösungen im Bereich der Sektorenkopplung auf. Im Projekt InSekt erforscht die Bergische Universität Wuppertal zusammen mit ihren Partnern von der Universität Duisburg Essen und den Stadtwerken Lemgo zum Beispiel die sektorenübergreifende Regelung von elektrischen und Wärmenetzen mithilfe einer dezentralen agentenbasierten Smart-Grid-Lösung.

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Im Bereich Industrie und Kohlenstoffwirtschaft arbeiten Forschende aus Nordrhein-Westfalen an innovativen Lösungsansätzen für eine klimaneutrale Industrie. Im Projekt H2Stahl erforscht thyssenkrupp Steel beispielsweise gemeinsam mit seinen Projektpartnern Air Liquide und BFI die Dekarbonisierung seiner Stahlproduktion mit Hilfe des Einsatzes von Wasserstoff.

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Zum Thema Mobilität entstehen in ganz Nordrhein-Westfalen vielversprechende Lösungsmodelle und innovative Ansätze für emissionsarme Verkehrskonzepte. Die Projektpartner The Mobility House, ENERVIE, Amprion und Nissan zeigen etwa im Rahmen eines Pilotprojekts, wie Elektroautos zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen können.

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Bei der Entwicklung urbaner Energielösungen kann Nordrhein-Westfalen auf vielfältige Pilotprojekte und innovative Praxisvorhaben blicken. Im Projekt ElCiN entwickeln die Stadtwerke Neuss zum Beispiel gemeinsam mit der Bergischen Universität Wuppertal, der Neusser Bäder und Eissporthalle GmbH und der Stadt Neuss energetische Quartiere der Zukunft, die durch den Einsatz von lokalen Flexibilitäten und sektorenübergreifenden Systemlösungen den Ausbau von regenerativen Energien vorantreiben.

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Flexibilität als Antwort

Die Lösung der komplexen Herausforderungen im Kontext der Energiesystemtransformation lässt sich mit einem einzelnen Begriff umschreiben: Flexibilität. Unser Energiesystem muss insgesamt – und zwar sowohl auf Erzeugungs- als auch auf Nachfrageseite – flexibler werden, um Schwankungen und Ungleichgewichte durch die fluktuierende Erzeugung ausgleichen zu können. Hier spielt die Sektorenkopplung eine herausragende Rolle.

 

Videointerview: Was Flexibilität im Energiesystem genau bedeutet und welchen Optionen zur Bereitstellung von Flexibilität existieren, erklärt Georg Unger vom Cluster EnergieForschung.NRW.

Praktische Umsetzung

Zur Erhöhung der Flexibilität des Energiesystems bestehen sowohl im Kontext der Erzeugung als auch beim Verbrauchsverhalten vielfältige Lösungsmöglichkeiten. Auf Seite der Stromerzeugung wird eine größere Flexibilität vor allem dadurch erreicht, dass moderne Kraftwerke flexibler werden, erneuerbare Anlagen bedarfsgerechter einspeisen und ein intelligentes Einspeisemanagement erfolgt. Auf der Nachfrageseite ermöglicht eine gezielte Steuerung des Nutzungsverhalten mittels verschiedener Anreize – das sogenannte Demand Side Management (DSM) – eine zeitliche Verschiebung des Stromverbrauchs.

Zudem spielen Speicherkonzepte eine wichtige Rolle für die Schaffung von Flexibilitätsoptionen. So können Kurzzeitspeicher über die Bereitstellung von Reserveleistung zur Stabilisierung des Versorgungssystems beitragen. Langzeitspeicher gewinnen vor allem künftig an Bedeutung, um die steigenden Anteile erneuerbarer Erzeugung effizient zu nutzen. Zudem bergen Speicher einen weiteren wichtigen Vorteil: Sie können Flexibilität sowohl erzeugungs- als auch nachfrageseitig bereitstellen. 

Analog zum Speicher bieten die sogenannten Power-to-X-Technologien ebenfalls erhebliches Flexibilitätspotential. Dabei wird Strom entweder sektorübergreifend direkt genutzt oder in andere Energieträger umgewandelt, was eine zeitliche und örtliche Verschiebung der Nutzung von Elektrizität ermöglicht. Grundsätzlich lassen sich PtX-Technologien nach thermischer (Power-to-Heat) und chemischer Speicherung (Power-to-Gas, Power-to-Chemicals und Power-to-Fuels) unterscheiden. Bei Power-to-Heat-Technologien erfolgt eine direkte Nutzung von Strom, um Wärme oder Kälte zu erzeugen. Bei der chemischen Speicherung wird der Strom wie folgt in andere Energieträger umgewandelt:

  • Power-to-Liquid-Verfahren nutzen Strom zur Herstellung flüssiger Brennstoffe wie Methanol, Kerosin oder Benzin hergestellt
  • Power-to-Gas-Verfahren nutzen Strom zur Herstellung von Gasen wie Wasserstoff oder Methan
  • Power-to-Chemical-Verfahren nutzen Strom zur Herstellung chemischer Grundstoffe wie Propylen, Ethylen und Ammoniak.

 

Videointerview: Georg Unger vom Cluster EnergieForschung.NRW erklärt, wie Power-to-X-Technologien dabei helfen, auch den Verkehrs- und Wärmebereich klimafreundlich umzugestalten.

Bedarfe und Herausforderungen

Verstärkter Ausbau EE

Um die politisch beschlossenen Klimaschutzziele und die damit notwendige Reduktion von Treibhausgasemissionen zu erreichen, muss der Anteil von erneuerbarer Energiequellen in allen Bereichen des Energiesystems signifikant erhöht werden. Technisch möglich ist das mit Hilfe der Sektorenkopplung: die innovativen Lösungs- und Anwendungsmöglichkeiten erlauben den verstärkten Einsatz regenerativ erzeugten Stroms in allen Sektoren des Energiesystems. Allerdings muss hierfür die hinreichende Verfügbarkeit von grünem Strom sichergestellt sein. Das Stromangebot aus erneuerbaren Quellen reicht derzeit noch nicht aus, um das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 verwirklichen zu können. Zudem ist die Nutzung von PtX-Anwendungen erst dann wirtschaftlich abbildbar, wenn ausreichend erneuerbarer Strom eingespeist wird. Der beschleunigte Ausbau von Stromerzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien daher für den erfolgreichen Wandel unabdingbar[2].

Regulatorische Rahmenbedingungen

Unser Energiesystem funktioniert über ein komplexes Zusammenwirken unterschiedlichster Akteure, Technologien, Geschäftsmodelle und Infrastrukturen. Verschiedene gesetzliche Steuerungsinstrumente wie etwa Abgaben, Umlagen oder Steuern dienen dazu, dieses vielschichtige System möglichst sicher, fair und wettbewerbsfähig auszugestalten. Die Verbindung unterschiedlicher Sektoren des Energiesystems hat dabei bisher kaum eine Rolle gespielt. Die derzeit bestehenden Rahmenbedingungen führen teilweise sogar dazu, dass bestimmte Anwendungsfälle der Sektorenkopplung nicht rentabel sind. Um einen wirtschaftlichen Betrieb von PtX-Technologien zu ermöglichen, ist daher eine Anpassung des Umlagen- und Abgabensystem notwendig, die eine Ungleichbehandlung oder Verzerrung zwischen den einzelnen Energieträgern und Sektoren unterbindet[3].

Infrastruktur

Das Energiesystem der Zukunft stellt vor allem unsere Stromnetze vor neue Herausforderungen. Die schwankende Erzeugung aus erneuerbaren Energien macht zunehmend Lösungen und Maßnahmen notwendig, um das Stromnetz stabil zu halten. Auch der Anstieg der Elektromobilität kann zu hohen Netzbelastungen führen, die ein aktives Eingreifen oder Gegensteuern erfordern. In weiten Teilen ist dies nur über eine Verstärkung beziehungsweise einen Ausbau der vorhandenen Stromnetze lösbar. PtX-Technologien können helfen, diesen Ausbau möglichst gering zu halten: Werden sie innerhalb des Energiesystem an geeigneten Stellen platziert, stellen sie ein effektives Instrument zur Verringerung hoher Netzbelastungen dar. Die Netzplanung muss daher die Sektorenkopplung als unterstützenden Lösungsansatz in ihren künftigen Überlegungen miteinbeziehen.

Beispielsweise wird regenerativ erzeugter Wasserstoff für eine klimaneutrale und verlässliche Energieversorgung künftig enorm an Bedeutung gewinnen. Das Auffinden geeigneter Standorte für PtG-Anlagen bringt allerdings einigen Aufwand mit sich. So stellen vor allem die geografische Nähe zu einem Umspannwerk - als potenziellem Energieumwandlungsstandort - und die Nähe zu erneuerbaren Erzeugungsanlagen wichtige Kriterien dar. Im bundesweiten Vergleich kann Nordrhein-Westfalen dabei auf die größte Anzahl potentiell geeigneter PtG-Standorte blicken. Das lässt sich vor allem mit den gut ausgebauten Netzinfrastrukturen im Strom- und im Gassektor erklären, die der hohe Energiebedarf des Wirtschafts- und Industriestandorts mit sich bringt[3].

[1] Wietschel, Martin et al.: Sektorkopplung – Definition, Chancen und Herausforderungen Forschungsbericht, Fraunhofer ISI: Karlsruhe, Working Paper Sustainability and Innovation No. S 01/2018, 2018.

[2] Acatech (2017): Sektorkopplung – Optionen für die nächste Phase der Energiewende. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina | www.leopoldina.org acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften | www.acatech.de. Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Acatech: München.

[3] Görner K., Lindenberger D. (Hrsgb.): Virtuelles Institut Strom zu Gas und Wärme - Flexibilisierungsoptionen im Strom-Gas-Wärme-System, Abschlussbericht, Management Summary, 2018.

Stand: Juli 2021