Die Energiewende und die damit einhergehenden Veränderungsprozesse stellen vor allem einen Bereich unseres bisherigen Energiesystems vor neue Herausforderungen: die Verteilnetzebene. Die ursprüngliche Aufgabe der Verteilnetze lag darin, Energie aus den höher gelegenen Spannungsebenen an die End- und Letztverbraucher zu verteilen. Die politisch beschlossenen Klimaschutzziele erfordern allerdings Anpassungen und Innovationen, die das bisherige Energiesystem und damit auch die Anforderungen an die Verteilnetze umfassend transformieren.

Bisher war es für einen stabilen Netzbetrieb ausreichend, die Energieflüsse im Verteilnetz abzuschätzen. Dabei wurde lediglich die eingespeiste Leistung erfasst oder repräsentative Lastprofile (etwa das Standardlastprofil des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW) genutzt. Angesichts der steigenden Anzahl von Photovoltaikanlagen sowie der zunehmenden Einführung von Speichern und Elektrofahrzeugen ist das bisherige Vorgehen jedoch nicht mehr ausreichend, um einen stabilen Netzbetrieb zu gewährleisten. Diese Entwicklungen bergen die Gefahr, dass es bei einem unveränderten Vorgehen zu unvorhersehbaren lokalen Überlastungen und Spannungsproblemen kommt.

Im Kontext des Wandels unseres Energiesystems ist es von großer Bedeutung, die Leistungskapazität der Niederspannungsverteilnetze optimal zu nutzen. Durch eine effizientere Nutzung der vorhandenen Netzstrukturen können Ausbaukosten erheblich reduziert werden, was gleichfalls eine realistische Abschätzung der anfallenden Netzentgelte ermöglicht. Notwendige Voraussetzung hierfür ist die Verfügbarkeit von aktuellen Informationen zu den einzelnen Netzabschnitten und Betriebsmitteln sowie mittelfristig eine darauf basierende Eingriffsmöglichkeit auf die Erzeuger und Verbraucher. Dies umfasst die genaue Kenntnis relevanter Netzzustandsdaten wie Spannung, Strom, Phasenwinkel und daraus ableitbaren Größen.

Das Projekt auf einen Blick

Kurztitel: Fit4eChange
Projektname: Lösungen für ein zukunftsfestes Stromnetz Management zur Beherrschung der Änderungen durch die Energiewende
Projektpartner: Fraunhofer IMS, Turck duotec GmbH, Nuromedia GmbH, ithinx GmbH, Netze Duisburg GmbH, EEBus Initiative e.V.und als assoziierter Projektpartner: ELE Verteilnetz GmbH
Projektstart: 01.07.2021
Projektlaufzeit: 3 Jahre
Förderrichtlinie: progres.nrw-Innovation
Fördersumme: 1,33 Mio. Euro

Echtzeit-Erfassung des Netzzustands

©Davidzfr - stock.adobe.com
Die Verteilnetze ermöglichen die stabile Versorgung aller einzelnen Verbraucher – und stellen damit einen großen Funktionsbereich des Energieversorgungssystems dar.

Das Projekt Fit4eChange arbeitet mit seiner Forschung daran, die Verteilnetze diesbezüglich fit für die Energiewende zu machen. Projektziel ist es, eine kontinuierliche Echtzeit-Überwachung der Energieflüsse und Belastungen in stark dynamisch genutzten Niederspannungsverteilnetzen zu realisieren. Mittels entsprechender Sensorsysteme, Kommunikations- und IT-Infrastruktur-Komponenten werden relevante Informationen an neuralgischen Punkten erfasst, zusammengeführt und kommuniziert. Erst damit werden die netzdienliche Steuerung und optimale Einbindung von Erzeugern und Verbrauchern möglich.

Angesichts der Dimensionen dieses Funktionsbereichs – allein die Stadt Köln verfügt beispielsweise über ca. 4.000 Transformatorstationen und 17.000 Kabelverteilschränke – spielen neben den technischen Herausforderungen auch der Kosten-, Installations- und Wartungsaufwand der entwickelten Lösung eine enorme Rolle.

Die zielgerichtete Erfassung des Netzzustands wird im Rahmen des Projekts über drahtlose Sensorsysteme verfolgt, die eine Nutzung der Technologien und Möglichkeiten des Internet-of-Things (IoT) erlauben. Der Aufbau einer eigenen Infrastruktur zur Vernetzung der Sensorsysteme ist damit nicht mehr notwendig, was den Investitionsaufwand erheblich reduziert. Die hochintegrierten Sensoren überzeugen außerdem durch niedrige Produktionskosten und können ohne viel Aufwand im laufenden Betrieb installiert werden.

Vernetztes Sensorsystem für eine zeitaktuelle digitale Darstellung

Da vor allem die Transformatoren durch die steigende Anzahl von Verbrauchern und einspeisenden Erzeugern einer wachsenden Belastung ausgesetzt sind, arbeitet das Projektteam an einer innovativen Lösung: Ein direkt am Transformator installiertes Sensorsystem soll in der nachgelagerten Informationsverarbeitung relevante Kennwerte über eine zeitaktuelle digitale Repräsentanz des Transformators (digitaler Zwilling) bereitstellen.

©Sergey Nivens - stock.adobe.com
Ein direkt am Transformator installiertes und flächendeckend vernetztes Sensorsystem ermöglicht die Erfassung und Visualisierung der erfassten Netzzustandsdaten.

Die flächendeckende Vernetzung der einzelnen Sensorsysteme ist von essentieller Bedeutung, um gesicherte Aussagen zum Netzzustand treffen zu können. Das Projektteam untersucht daher die Eignung der aktuell verfügbaren Funktechnologien, um diese Voraussetzung praxistauglich zu erfüllen. Fragen der IT-Sicherheit sind dabei von ebenso zentraler Bedeutung wie das Erfordernis der Schwarzfallfestigkeit: die Technologien sowie die dazugehörige Infrastruktur müssen bei einem Stromausfall so lange einsatzfähig bleiben, bis ein geregelter Netzwiederaufbau gewährleistet ist.

Die von den Sensorsystemen erfassten Daten können in dieser Form noch nicht für Verfahren zur netzdienlichen Regulierung genutzt werden. Daher werden im Rahmen des Projekts ebenfalls die notwendigen IT-Komponenten für eine Aggregation, Analyse, Diagnose und Visualisierung der erfassten Betriebszustandsdaten entwickelt. Dies ermöglicht die kontinuierliche Bereitstellung von umfassenden und detaillierten Abbildern des Netzes und seiner Komponenten. Damit wird es den Netzbetreibern möglich, in Echtzeit auf fluktuierende Energieflüsse netzdienlich zu reagieren und vorhandene Betriebsmittel effizient zu nutzen. Überlastungen oder Ausfällen im Rahmen kritischer Netzzustände kann damit präventiv und zielgerichtet entgegengewirkt werden.

Die erarbeiteten Lösungen sollen anschließend in realitätsnahen Testumgebungen untersucht und bewertet werden. Ziel ist es nicht nur, die Funktionalität und Wirtschaftlichkeit der sensorbasierten Netzzustandserfassung zu demonstrieren, sondern auch die erarbeiteten Lösungen als Blaupause für das aktuell im EnWG diskutiere Netzengpassmanagement zu etablieren. Nach dem erfolgreichen Projektstart sollen die Erprobung und Validierung der umgesetzten Projektziele bis Mitte 2024 abgeschlossen werden.

© SPIN e.V.

Förderpolitischer Rahmen: Spitzencluster Industrielle Innovationen

Der Erfolg industrieller Innovationen wird ganz erheblich von einem Faktor bestimmt: Zeit. In der Metropolregion Ruhr arbeiten im „Spitzencluster Industrielle Innovationen“ (SPIN) zahlreiche Branchen und Akteure zusammen daran, Innovationen möglichst rasch in die Praxis zu überführen. Die Innovationsplattform schafft neue Allianzen aus Industrie, Energiewirtschaft, Digitaltechnologie und anwendungsorientierter Forschung, um die Region im weltweiten Wettbewerb neuer Technologien erfolgreich zu positionieren. Der Fokus liegt auf der Entwicklung von klimafreundlichen Technologien, Verfahren und Produkten zur erfolgreichen Transformation der Industrie und unseres Energiesystems. Das Spitzencluster ist eines der ersten großen Projekte aus der Ruhr-Konferenz zur Gestaltung des Strukturwandels und wird vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.

Zur SPIN-Website

Stand: März 2022