Emissionsarme Mobilität

Synthetische Kraftstoffe ergänzen das Mobilitätskonzept

Unsere CO2-Emissionen müssen auch in den kommenden Jahrzehnten noch erheblich gesenkt werden, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Doch im Verkehrssektor sind die aktuellen Entwicklungen gegenläufig zu diesen Zielen: die Emissionswerte steigen an.  

Um diesem Trend entgegenzuwirken, bietet sich nicht nur eine erhöhte Verkehrseffizienz an, sondern auch alternative Kraftstoffe und Antriebe. Zum Beispiel wird die Elektromobilität mit Batterie und Brennstoffzelle weiter vorangetrieben. Abhängig von den Anwendungen und mit Blick auf die physikalischen Rahmenbedingungen kommt die Batterietechnik für eher leichte bis mittelschwere Fahrzeuge mit geringeren Reichweiten in Frage, während die Brennstoffzellentechnik auch für schwere Fahrzeuge und Schiffe mit hohen Reichweitenanforderungen dienen kann.

Insbesondere für nicht oder nur schwer elektrifizierbare Mobilitätsanwendungen wird aber auch an klimafreundlichen und effizienten Verbrennungsmotoren gearbeitet, die mit Biokraftstoffen oder mit regenerativ erzeugten synthetischen Kraftstoffen betrieben werden.

89 Tankstellen
Zahlen bitte

Batterieelektrische Mobilität, Wasserstofftechnologie, synthetische Kraftstoffe – der Mix an Technologien macht das Konzept der zukünftigen Mobilität aus. Für wasserstoffbetriebene Fahrzeuge gibt es in Deutschland aktuell 89 Tankstellen, weitere 12 sind in Planung. Die Anzahl konventioneller Tankstellen ist freilich um einiges höher: 2020 waren es deutschlandweit mehr als 14.000.

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Vielseitiges Potenzial auf dem Weg zur Marktreife

Synthetische Kraftstoffe, die auf Basis von erneuerbaren Energien – und somit grünem Wasserstoff – hergestellt werden, haben viele positive Eigenschaften: Sie zeichnen sich durch Umwelt- und Klimafreundlichkeit aus. Sie können außerdem unkompliziert transportiert werden (auch über die bereits bestehende Infrastruktur für fossile Kraftstoffe), sie sind chemisch stabil und können damit über lange Zeiträume hinweg gelagert werden (und so auch als Energiespeicher dienen) und sie können konventionellen Kraftstoffen beigemischt werden und damit zu einer anteiligen Reduktion von fossilem CO2 beitragen.

Diesen Vorteilen stehen aus heutiger Sicht noch eine zu geringe Energieeffizienz und mangelnde Wirtschaftlichkeit gegenüber. Insbesondere die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen ist noch weit von einer kommerziellen Anwendung entfernt, denn sie ist komplex, teuer und basiert auf knappen Ressourcen. Synthetische Kraftstoffe können deshalb (noch) nicht mit den Mengen und den verhältnismäßig niedrigen Preisen von konventionellen oder anderen alternativen Kraftstoffen mithalten. Doch werden erste Produktionsanlagen in unterschiedlichen Modellvorhaben in Nordrhein-Westfalen entwickelt und erprobt, um die synthetischen Kraftstoffe weiter in Richtung Marktreife und Wettbewerbsfähigkeit zu bringen.

Herstellung mit klimaneutralem Kohlenstoff

Im Gegensatz zu konventionellem Benzin und Diesel werden synthetische Kraftstoffe nicht aus fossilem Erdöl gewonnen, sondern in einem komplexen Prozess hergestellt. Dabei wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen genutzt, um in einem Elektrolyseverfahren Wasser (H2O) in seine Bestandteile Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) aufzuspalten. Der gewonnene Wasserstoff wird mit Kohlenstoffmonoxid (CO) oder Kohlenstoffdioxid (CO2) aus vorzugsweise nicht fossilen Quellen zu flüssigen Kohlenwasserstoffen synthetisiert. Unterschiedliche Syntheseverfahren führen dabei zu unterschiedlichen Kraftstoffen: Durch Methanol-Synthese werden zum Beispiel Di-Methylether oder Octanol hergestellt. Über die Fischer-Tropsch-Synthese erhält man langkettige Kohlenwasserstoffe wie E-Diesel, E-Benzin oder E-Kerosin und über eine Methanisierung, zum Beispiel im Sabatier-Prozess, entsteht Methan. Alle diese flüssigen Kohlenwasserstoffe werden als synthetische Kraftstoffe oder – in Anlehnung an das Englische – auch als SynFuels oder e-fuels bezeichnet.

Einfache Handhabung, wichtige Alternative

Synthetische Kraftstoffe können in Reinform oder als Beimischung zu Benzin oder Diesel in herkömmlichen Verbrennungsmotoren eingesetzt werden. Eine Änderung der Motorentechnik ist dabei in der Regel nicht notwendig und auch bestehende Infrastrukturen wie Pipelines und Tankstellen können weitergenutzt werden. Die Belastung durch Ruß, Feinstaub und Stickoxide nimmt mit synthetischen Kraftstoffen deutlich ab.

Das Landesministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie bewertet synthetische Kraftstoffe insgesamt als wichtige, aber aufgrund der hohen Herstellungskosten auch als wertvolle Alternative, die mit Bedacht eingesetzt werden muss. Anders als Teile der Wissenschaft, die politische und ökonomische Implikationen nicht unbedingt betrachten müssen, sollen synthetische Kraftstoffe aus Sicht der Landesregierung daher vor allem für solche Anwendungen genutzt werden, die nur schwer oder gar nicht zu elektrifizieren sind. Im Fokus stehen hier der Flug- und Schwerlastverkehr sowie die Schifffahrt. Zudem fehlen aktuell noch großtechnische Anlagen zur Herstellung größerer Mengen synthetischer Kraftstoffe. Kurz- bis mittelfristige Ziele zur Dekarbonisierung im Verkehrssektor werden daher voraussichtlich nur mit Elektromobilität – sowohl als rein batterieelektrische als auch mit Brennstoffzellen – erreicht werden können.

Handlungskonzept zu synthetischen Kraftstoffen

Mit dem neuen Handlungskonzept zeigt Nordrhein-Westfalen auf, welche Rolle synthetische Kraftstoffe für die klimaneutrale Transformation spielen. Das Konzept definiert die Handlungsbedarfe und die benötigten Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Markthochlauf sowie den effizienten Einsatz der Kraftstoffe.

Interview mit Professor Dr. Stefan Pischinger
„Das Rennen ist offen!“

© Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen (VKA) der RWTH Aachen
Professor Dr. Stefan Pischinger leitet den Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen (VKA) an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, ist der Sprecher des Fuel Science Centers und des Zukunftsclusters Wasserstoff sowie Mitglied im Competence Center Power to Fuels. Außerdem ist er Vorsitzender der Geschäftsführung der FEV Group, die unter anderem Fahrzeugantriebe und intelligente Mobilitätslösungen entwickelt.

Der Fahrzeugbestand und die bestehende Infrastruktur für fossile Kraftstoffe ließen sich umgehend und unkompliziert auf reine oder beigemischte synthetische Kraftstoffe umstellen. Über eine CO2-neutral Herstellung dieser Kraftstoffe könnte so ein großer Anteil der Mobilität schnell erreicht werden.

Wasserstoff wird manchmal als Champagner unter den Energieträgern bezeichnet.

Pischinger: Ob das ein treffender Vergleich ist, kann man kritisch hinterfragen. Champagner kann durchaus als Synonym für „sehr teuer“ verstanden werden. Die Kosten in der Herstellung von grünem Wasserstoff sind aber primär von den Kosten der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen abhängig. Wenn es also gelingt, diese Stromkosten niedrig zu halten, dann wird auch der Wasserstoff kostengünstiger – und damit in dieser Hinsicht nicht mit Champagner vergleichbar. Wenn Champagner aber für etwas Edles und Positives steht, dann trifft das auf den Wasserstoff sicherlich zu.

Wasserstoff kann in der Brennstoffzelle eingesetzt werden, aber auch als Kraftstoff für Verbrennungsmotoren. Was sind die jeweiligen Vor- und Nachteile?

Pischinger: Durch die Brennstoffzelle wird Strom erzeugt, der einen Elektromotor antreibt. Damit genießen die Fahrzeuge mit Brennstoffzelle den positiv belegten Ruf eines Elektrofahrzeugs. Vor allem im Teillast-Betrieb hat die Brennstoffzelle einen sehr hohen Wirkungsgrad, der dem Verbrennungsmotor deutlich überlegen ist. Das spielt insbesondere im Stadtverkehr eine Rolle, wo man ja nie mit voller Leistung unterwegs ist. Die Brennstoffzelle ist geräuschlos, wird auf einem niedrigen Temperaturniveau von 80°C betrieben und stößt keinerlei Schadstoffe aus. Das einzige, was hinten rauströpfelt, ist ein bisschen Wasser. Allerdings wird ein neuartiges Tanksystem benötigt, denn der Wasserstoff wird unter hohem Druck gespeichert. Und ein weiterer wichtiger Punkt: Technologisch hat die Brennstoffzelle noch nicht die Entwicklungsreife von batterieelektrischen Fahrzeugen oder gar Verbrennungsmotoren erreicht.

Wasserstoff kann aber auch als Kraftstoff in einem Verbrennungsmotor genutzt werden. Der große Vorteil ist, dass die Produktionstechniken von Verbrennungsmotoren etabliert und die Zuliefererstruktur für diese Technologie vorhanden ist. Und ein mit Wasserstoff betriebener Verbrennungsmotor stößt auch keine Kohlenwasserstoffe, kein Kohlenmonoxid und auch kein Kohlendioxid aus. Stickoxide können entstehen, aber wir forschen daran, diese Emissionen auf nahezu null zu senken. Das funktioniert mit Wasserstoff sehr gut.

Insgesamt betrachtet sind Verbrennungsmotor und Brennstoffzelle gute Wettbewerber. Der Verbrennungsmotor entfaltet seinen besten Wirkungsgrad bei hohen Leistungen. Dagegen werden Brennstoffzellen, die für hohe Leistungen ausgelegt sind, sehr teuer und schwer. Deshalb punkten Brennstoffzellen eher bei Fahrzeugen mit kleinem und mittlerem Leistungsbedarf, bei großen Fahrzeugen wie Lastwagen, Zügen und Schiffen eher Wasserstoffmotoren. Aber eine Abgrenzung der Einsatzgebiete ist nicht entschieden. Das Rennen ist offen und aus meiner Sicht sind beide Technologien wichtig.

Welchen Ansatz verfolgt der Zukunftscluster Wasserstoff, der aktuell unter Ihrer Leitung steht?

Pischinger: Wasserstoff ist in vielen Bereichen ein wichtiges Thema. Brennstoffzelle und Verbrennungsmotor sind typische Nutzungsanwendungen. Aber wir müssen den Wasserstoff ja auch erzeugen. Wir müssen ihn transportieren. Wir müssen ihn speichern. Und dann gibt es nicht nur Anwendungen in der Mobilität, sondern auch im stationären Bereich, zum Beispiel in der Industrie oder im Hausheizungsbereich. Das Besondere am Zukunftscluster ist, dass wir den Wasserstoff in seiner Gesamtheit betrachten wollen, mit allen technologischen, infrastrukturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten.

Unser ungewöhnlich breiter Ansatz wurde zwar immer wieder kontrovers diskutiert. Aber es steckt auch eine unglaublich große Dynamik und Begeisterung darin – die allein schon in der großen Zahl unserer Partner aus dem universitären Hochschulbereich und aus dem Industriebereich deutlich wird: 47 sind es.

Wir wollen auch insbesondere solche Ideen aufgreifen, die schon eine gewisse Funktionstüchtigkeit nachgewiesen haben, aber im sogenannten „Valley of Death“ steckenbleiben und zu scheitern drohen. Solchen Ideen möchten wir einen „Push“ nach vorne geben, damit sie sich in Richtung Serienproduktion bewegen.

Vom Wasserstoff gehen wir einen Schritt weiter zu den synthetischen Kraftstoffen. Ihre Herstellung ist komplex: Man muss nicht nur Wasserstoff herstellen, sondern ihn durch Kohlenstoff zu synthetischen Kraftstoffen weiterverarbeiten. Warum ist dieser letzte Schritt sinnvoll? Könnte man es nicht beim Wasserstoff belassen?

Pischinger: Für den Wasserstoff gibt es noch verschiedene Hürden, die die breite Anwendung erschweren: Die Infrastruktur ist zum Beispiel noch nicht ausgebaut und es gibt nur wenige Tankstellen. Und auch die Endnutzer, also die Fahrzeuge mit Brennstoffzellen oder Wasserstoff-Verbrennungsmotoren, sind heute in der Fläche noch gar nicht vorhanden. Die gesamte Kette aus Herstellung, Verteilung und Nutzung muss also komplett neu aufgebaut werden.

Gleichzeitig gibt es den Fahrzeugbestand und die bestehende Infrastruktur für fossile Kraftstoffe. Beides ließe sich umgehend und unkompliziert auf reine oder beigemischte synthetische Kraftstoffe umstellen. Über eine CO2-neutral Herstellung dieser Kraftstoffe könnte so ein großer Anteil der Mobilität schnell erreicht werden.

Zusätzlich gibt es auch Anwendungen, für die Wasserstoff-Drucktanks zu schwer und zu voluminös sind. Flugzeuge sind Beispiele dafür. Auch hier werden synthetische Kraftstoffe oder Beimischungen sicher eine wichtige Rolle spielen, aber auch flüssig gespeicherter Wasserstoff ist hier eine Option.

Welche Kohlenstoffquellen können für die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen genutzt werden?

Pischinger: Direct Air Capture wäre natürlich das Naheliegendste: CO2 wird dabei direkt aus der Atmosphäre herausgefiltert. Es gibt Firmen, die dieses Verfahren massiv vorantreiben. Dennoch ist es bisher noch aufwändig und relativ teuer – und deshalb nicht weit verbreitet. Einfacher ist es, Quellen mit hoher CO2-Konzentration zu nutzen, zum Beispiel Biomasse oder Abgase von Industrieanlagen. Wobei es sich genaugenommen nur um eine Zwischennutzung von CO2 handelt, wenn diese Industrieanlagen fossil betrieben werden. Die längerfristige Vision ist sicherlich ein geschlossener Kohlenstoffkreislauf ohne fossile CO2-Quellen. In diesem Szenario wird Direct Air Capture ein wichtiger Bestandteil sein müssen.

Schematische Darstellung der Herstellungs- und Nutzungspfade synthetischer Kraftstoffe.

Stehen synthetische Kraftstoffe in Konkurrenz zur Elektromobilität? Oder sehen Sie Synergien?

Pischinger: Man könnte natürlich sagen, dass alle Technologien, die auf erneuerbare Energiequellen setzen, irgendwo auch in Konkurrenz zueinander stehen. Ich sehe allerdings eher die Synergien: Batterieelektrische Fahrzeuge sind für normale Leistungsanforderungen und den Kurzstreckenverkehr in der Stadt geeignet. In Gegenden mit weniger ausgebauter Ladeinfrastruktur könnten Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe eine wichtige Rolle spielen. Und auch im Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr, auf Langstrecken und bei Nutzfahrzeugen, wo es auf hohe Leistung und Reichweite ankommt, wird es stärker auf Wasserstoff mit Verbrennungsmotor bzw. Brennstoffzelle und auf synthetische Kraftstoffe hinauslaufen. Insgesamt sehe ich also eher die Synergien.

Auch das Thema Speicherung ist nicht zu vernachlässigen. Die erneuerbaren Energiequellen liefern ja nicht kontinuierlich Strom. Besonders gefürchtet sind die sogenannten Dunkelflauten, in denen weder die Sonne scheint, noch der Wind weht. Für solche Zeiten muss Energie zwischengespeichert werden – und das ist vor allem für längere Zeiträume mit Batterien nicht vorstellbar. In chemischer Form wie z. B. als Wasserstoff oder auch durch synthetische Kraftstoffe ließe sich die Energie dagegen problemlos über mehrere Wochen und Monate speichern. Und diese Energie kann dann auch unterschiedlich genutzt werden. Damit entsteht letztendlich eine Synergie zwischen elektrischer Energie und chemisch gebundener Energie.

Sie sind in der Wissenschaft und in der Wirtschaft gleichermaßen zu Hause. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit zwischen beiden?

Pischinger: Forschung, Entwicklung und Unternehmen zusammenzubringen ist ein Schlüssel dafür, dass es Ideen in die Anwendung und in die Serienproduktion schaffen. Das wichtigste dabei ist, dass alle Parteien miteinander reden, dass sie sich gegenseitig einbinden und dadurch ein Nährboden für Innovation und Transfer entsteht. Vor allem merke ich, dass die Zusammenarbeit für die jungen Studentinnen und Studenten höchst motivierend wirkt. Allein die Vision, dass das, was sie tun, später zur Anwendung kommt, führt zu einer enormen Begeisterung und Freude an der Forschung. Auch deswegen glaube ich, dass das Zusammenbringen von Wissenschaft und Wirtschaft ein sehr gutes und wichtiges Konzept ist. 

Aktuell entsteht ein großes Kooperationsprojekt in Chile: Siemens produziert synthetische Kraftstoffe für den Hauptabnehmer Porsche. Ist das ein Projekt, das die synthetischen Kraftstoffe weiter nach vorne bringen kann?

Pischinger: Diese Kooperation ist natürlich schon ein Pilotprojekt, in dem die Anwendung und auch das Hochskalieren synthetischer Kraftstoffe demonstriert werden. CO2 wird dort über Direct Air Capture gewonnen und dann mit Wasserstoff aus dem Elektrolyseur von Siemens zu synthetischem Kraftstoff weiterverarbeitet – und das in ehrgeizigen Mengen. Es ist wichtig, ein solches Zeichen zu setzen.

Um synthetische Kraftstoffe aber auch in der Breite erfolgreich zu machen, müssten aus meiner Sicht die Randbedingungen noch einmal angepackt werden: Bisher werden synthetische Kraftstoffe in der EU-Gesetzgebung nicht als CO2-mindernde Maßnahmen bewertet, denn gemessen und beurteilt werden ausschließlich die entstehenden Abgase. Mit dieser Herangehensweise zeigen sich für die synthetischen Kraftstoffe keinerlei Vorteile, da sie ja Kohlenstoff enthalten. Dass die Kohlenstoffe aber nicht fossilen Ursprungs sind, sondern gegebenenfalls sogar zuvor aus der Atmosphäre herausgefiltert wurden, wird bei der aktuellen Bewertung nicht berücksichtigt. Und da solche Randbedingungen auch einen Einfluss auf die Weiterentwicklung haben, ist die Technologie insgesamt noch nicht auf dem Stand, auf dem sie hätte sein können.

Abgesehen von der Mobilität – welche weiteren Anwendungen gibt es für synthetische Kraftstoffe?

Pischinger: PKW- und LKW-Verkehr, Luft- und Schifffahrt sind der Mobilität zuzuordnen. Darüber hinaus gibt es Einsatzmöglichkeiten im Bereich der Landwirtschaft, bei stationären Anwendungen wie im Haushalt, bei der Speicherung und in der Industrie.

Mit welchen Kosten ist zu rechnen? Werden die Preise für synthetische Kraftstoffe mit den Preisen für fossile Kraftstoffe konkurrieren können?

Pischinger: Die Kosten für erdölbasierte Kraftstoffe liegen heute bei etwa 50 bis 60 Cent pro Liter, abhängig vom aktuellen Rohölpreis. Bei synthetischen Kraftstoffen ist der Strom, der für die Herstellung von Wasserstoff benötigt wird, der größte Kostenfaktor. Deshalb ist es sinnvoll, diesen Strom in Ländern mit starker Sonneneinstrahlung zu erzeugen, denn dort sind die Stromgestehungskosten niedrig. Unter dieser Voraussetzung könnte man für synthetische Kraftstoffe einen Preis von etwa einem Euro pro Liter erreichen. Das ist immer noch ein Faktor 2 – aber eben auch kein unüberwindbarer Unterschied. Und wenn Steuervergünstigungen für synthetische Kraftstoffe möglich wären, würde der preisliche Unterschied noch geringer.

Welche Zukunftsvision haben Sie?

Pischinger: Ich habe natürlich die Vision, dass wir in einer Gesamtbilanz auf null CO2-Emissionen kommen. Um diese Vision Realität werden zu lassen, müssen wir technologieoffen und ganzheitlich an die Sache herangehen – statt einzelne Technologien in die Ecke zu stellen. Wasserstoff wird in Zukunft sicher eine wichtige Säule sein. Deshalb wollen wir mit dem Zukunftscluster Wasserstoff auch den Weg für den Wasserstoff bereiten. Hinzu kommen die batterieelektrischen Fahrzeuge und aus meiner Sicht eben auch die synthetischen Kraftstoffe. Alle diese Technologien werden Bausteine sein, die zusammenspielen, sodass unsere Wirtschaft schlussendlich in allen Sektoren CO2-neutral funktioniert. Das Rennen ist offen! 

Leuchtturmprojekte

Diese Projekte aus Nordrhein-Westfalen zeigen schon heute, wie die Transformation des Energiesystem gelingen kann.

The Fuel Science Center: exzellente Kraftstoffforschung

Deutsche Spitzenforschung wird durch Exzellenzcluster gefördert. In solchen Clustern vernetzen sich angesehene Forschungseinrichtungen und stärken gemeinsam ihr Forschungsprofil und ihre Innovationsfähigkeit. Auch die Ausbildungsvoraussetzungen und die Karrierebedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs werden so verbessert.

Seit 2019 gibt es an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen gleich drei Exzellenzcluster. Eines davon ist „The Fuel Science Center“ (FSC). Dort forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Grundlagen und an wissenschaftlichen Methoden zur Entwicklung von alternativen Kraftstoffen aus erneuerbarem Strom und biobasierten Kohlenstoffquellen. Solche Bio-Hybrid-Kraftstoffe ermöglichen eine hocheffiziente und saubere Verbrennung und sollen damit einen Beitrag dazu leisten, unsere derzeitige fossile Energieversorgung durch klimaneutrale Lösungen zu ersetzen.

Dynamische und agile Arbeitsweise

Um diese Vision zu erreichen, wird im Fuel Science Center disziplinübergreifend zusammengearbeitet: Forscherinnen und Forscher aus Naturwissenschaften wie Biologie und Chemie, aus Ingenieurswissenschaften wie der Verfahrenstechnik, aus Wirtschaftswissenschaften und aus Sozialwissenschaften kommen in dem Cluster zusammen – und bringen gemeinsam Dynamik und Agilität in die wissenschaftlichen Arbeitsmethoden. Deshalb wird die Forschung am FSC auch nicht in die klassischen Disziplinen oder in einzelne Technologiefelder unterteilt. Stattdessen orientiert sich die Cluster-Struktur, die sich in sogenannte „Competence Areas“ gliedert, an den verschiedenen Zeit- und Größenskalen: von der molekularen Ebene bis hin zum globalen System. Auf diese Weise wirken verschiedene wissenschaftliche Konzepte und Methoden zusammen und bereichern sich gegenseitig.

Skalen geben die Cluster-Struktur vor

In der Competence Area 1 stehen mit molekularen Umwandlungen und Wechselwirkungen die kleinen Skalen im Fokus. Hier werden die molekulare Vielfalt und die grundlegenden chemischen Prinzipien der Herstellung und der Verbrennung von Bio-Hybrid-Kraftstoffen erforscht, um sie später kontrollieren und beherrschen zu können.

Systeme mittlerer Größenordnungen werden in der Competence Area 2 untersucht. Dort konzentrieren sich die Forscherinnen und Forscher auf Strömungssysteme, auf die Ergiebigkeit der Kraftstoffproduktion, auf neuartige Konzepte für Verbrennungsmotoren und auf innovative Abgasnachbehandlungssysteme mit Schadstoffemissionen nahe null.

Den ganzheitlichen Blick auf das Fuel Design hat die Competence Area 3. Hier werden neue Kraftstoffe und deren Mischungen entworfen, die sowohl bei der Herstellung als auch bei der Anwendung im Antrieb ein optimales Ergebnis erzielen. Genauso werden hier aber auch branchenübergreifende Wertschöpfungsketten, Nachhaltigkeitskriterien und Akzeptanz durch Gesellschaft, Politik und Industrie adressiert.

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IEK-14: Umwandlungstechnologien für die Energiezukunft

Ein klimaneutrales Energiesystem erfordert neue und effiziente Technologien, über die erneuerbare Energie in andere treibhausgasneutrale Energieträger, zum Beispiel flüssige Kraftstoffe, umgewandelt werden kann. Mit solchen elektrochemischen Energieumwandlungen hat das IEK-14, Elektrochemische Verfahrenstechnik am Institut für Energie- und Klimaforschung des Forschungszentrums Jülich, mehr als 20 Jahre Erfahrung.

Gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Industrie untersucht das Institut flüssige Energieträger – und wie sie effizient und umweltverträglich produziert und genutzt werden können. Im Fokus stehen dabei sowohl die Elektrolyseforschung von den Grundlagen bis hin zum System als auch die Kraftstoffsynthese, die Prozessanalysen, techno-ökonomische Betrachtungen, Katalysatoruntersuchungen und die Komponenten- und Systementwicklung umfasst.

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LNG Pilots: umweltfreundlicher Transport

Die Europäische Union bewertet flüssiges Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) beziehungsweise verflüssigtes Biomethan (Bio-LNG) als einen alternativen Kraftstoff, der insbesondere den Transportsektor umweltfreundlicher gestalten kann. Vor diesem Hintergrund wurde für den Güterverkehr in der grenzübergreifenden Region Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen/Landkreis Ems und den Niederlanden das Projekt LNG Pilots durchgeführt.

Die 36 Partner entwickelten im Rahmen des Projekts zum Beispiel einen automatisierten LNG-Tankprozess, bei dem ein Roboterarm das Fahrzeug betankt. Eine Neuentwicklung im Tankbau ermöglicht es, mehr Gasvolumen zu speichern und damit die Reichweite der LNG-Fahrzeuge zu steigern. Und des Weiteren entstand ein neuartiger Katalysator, der im Verbrennungsprozess nicht genutztes, klimaschädliches Methan größtenteils eliminieren kann.

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BioJetFuel: Klärschlamm für die Kraftstoffproduktion

Jedes Jahr fallen in Nordrhein-Westfalen 370.000 Tonnen Klärschlamm als Trockensubstanz an. Was eigentlich ein Abfallprodukt ist, könnte in Zukunft als biogene – und damit umweltfreundliche – CO2-Rohstoffquelle für die Produktion von synthetischen Kraftstoffen dienen.

Diesen Ansatz verfolgt das Projekt „NRW-Revier-Power-to-BioJetFuel“ unter der Führung der RWE Power AG: Aus dem Abgas einer Klärschlammverbrennungsanlage soll CO2 abgeschieden und zusammen mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff zu synthetischen Kraftstoffen, beispielsweise für den Flugverkehr, weiterverarbeitet werden. So soll demonstriert werden, dass sich biogenes CO2 aus Klärschlamm für die Kraftstoffproduktion erschließen und nutzen lässt. Gleichzeitig sollen die Investitions-, Betriebs- und Produktionskosten sowie der CO2-Fußabdruck des Kraftstoffs abgeschätzt werden.

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  • Header: © megaflopp - stock.adobe.com
  • Projekt The Fuel Science Center: © The Fuel Science Center der RWTH Aachen
  • Projekt IEK-14: © H_Ko - stock.adobe.com
  • Projekt LNG Pilots: © Lukas Gojda – stock.adobe.com
  • Projekt BioJetFuel: © Chalabala – stock.adobe.com
  • Teaser klimaneutrale Industrie: © eyetronic - stock.adobe.com
  • Teaser Überblicksseite: © MWIDE NRW/M. Kusch