Special 2022: Gebäude und Quartiere

Energiewende „in a nutshell“

Über das „Wie“ der Energiewende wird intensiv diskutiert. Klar ist: Eine Schlüsselrolle wird die klimagerechte Umgestaltung von Gebäuden und Quartieren spielen. Dafür gibt es jedoch nicht die eine Lösung, die überall zum Erfolg führt. Vielmehr müssen individuell passende Technologien identifiziert und intelligent kombiniert werden. Impulse dafür kommen auch aus der Energieforschung – zum Beispiel vom internationalen Hochschulwettbewerb Solar Decathlon Europe und dem daran anschließenden Living Lab NRW, das auch in den kommenden Jahren Forschungsergebnisse für klimafreundliches Wohnen liefern wird.

Die Energiewende ist geprägt von der zentralen Zielmarke, bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen. Das Ziel ist also klar definiert – der Weg dorthin wird hingegen bis heute debattiert. Unstrittig ist, dass die knapp 20 Millionen Wohngebäude[1]  in Deutschland mit ihrer heterogenen Struktur hinsichtlich Alter, Energieeffizienz, Wärmeversorgung und Eigentümerverhältnissen eine Schlüsselrolle spielen. Alle diese Gebäude müssen bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein! Gleichzeitig müssen neue Gebäude klimakompatibel gebaut und sinnvoll in bestehende oder zu erweiternde Infrastruktur eingebettet werden.

Wie kann das gelingen? Durch den Fokus auf Energieeffizienz, regenerative Wärme und intelligent kombinierte Technologien – und durch Impulse aus der Energieforschung.

[1] https://www.dena.de/fileadmin/dena/Publikationen/PDFs/2021/dena-Gebaeudereport_2022.pdf

40 Prozent
Zahlen bitte

40 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen gehen auf das Konto des Gebäudesektors. Ermittelt ist diese Zahl nach dem Verbraucherprinzip, dazu zählen sowohl die direkten Emissionen (etwa durch Verbrennung fossiler Energieträger zur Wärmeerzeugung), als auch die indirekten Emissionen (etwa durch den Bau der Gebäude).

Gebäude effizient und Wärme regenerativ gestalten

Um die direkten Treibhausgasemissionen eines Gebäudes zu reduzieren, gibt es zwei Hebel: den Energieverbrauch des Gebäudes absenken und die Energieversorgung auf regenerative Quellen umstellen.

Hinsichtlich Energieverbrauch ist zu einem bestimmten Anteil das Verhalten der Bewohner relevant. Den maßgeblichen Beitrag zur Reduktion leistet jedoch die Gebäudeeffizienz. Sie kann durch eine oder eine Kombination aus verschiedenen energetischen Sanierungsmaßnahmen erhöht werden. Hinsichtlich erneuerbarer Wärmeversorgung muss in den meisten Fällen die bestehende Heizungstechnik ausgetauscht werden. Effiziente Wärmepumpen können eine Lösung sein. Oft kann aber auch der Anschluss an ein Wärmenetz Treibhausgasemissionen einsparen.

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Technologien intelligent kombinieren

Eine Wärmepumpe liefert dann klimafreundliche Wärme, wenn sie erneuerbaren Strom nutzt – der im besten Fall über eine Photovoltaikanlage auf dem Gebäudedach selbst produziert wird. Allerdings finden Stromproduktion durch die Photovoltaikanlage und Stromverbrauch durch die Wärmepumpe nicht immer gleichzeitig und in gleichem Umfang statt. Es gibt also eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage, weswegen beide voneinander entkoppelt werden müssen. Lösungen dafür sind ein Stromspeicher oder ein Wärmespeicher – oder eine Kombination aus beiden Systemen.

Werden mehrere Technologien miteinander kombiniert, können sie über digitale, intelligente Steuerungssysteme aufeinander abgestimmt werden. So ist es möglich, Wärmeversorgung, Energie- und Wärmespeicherung, Nutzerverhalten und auch E-Mobilität intelligent und effizient zu kombinieren. Damit demonstrieren klimafreundliche Gebäude und Quartiere im Kleinen, wie die Energiewende im Großen funktionieren kann – eine Energiewende „in a nutshell“.

Umgesetzt werden klimaschonende Quartiere in Neubau und Bestand zum Beispiel über das im Juni 2022 gestartete „KlimaQuartier.NRW“ der Landesregierung. In dem zugehörigen Planungsleitfaden[2] finden sich alle Anforderungen, Standards und konkreten Kennzahlen, die ein KlimaQuartier.NRW erfüllen muss. Dabei werden nicht nur einzelne Gebäude optimiert, sondern ganze Quartiere, in denen die Gebäude miteinander vernetzt sind.

Impulse setzen und Forschungsfragen beantworten

Neue Impulse aus der Energieforschung setzt regelmäßig der Solar Decathlon Europe, ein internationaler Hochschulwettbewerb für nachhaltiges Bauen und Wohnen in der Stadt. Er fand im Juni 2022 erstmals in Deutschland statt. Angelehnt an den olympischen Zehnkampf treten die studentischen Teams mit ihren Gebäuden in zehn Disziplinen gegeneinander an, darunter Architektur, Energie-Performance, Nachhaltigkeit und Komfort. Die Ergebnisse sind vielfältig und adressieren zum Beispiel Kreislauffähigkeit und Recycling, modulare Bauweise und Skalierbarkeit sowie energetische Fassadennutzung.

Acht der Demonstrationsgebäude verbleiben auch über den Wettbewerbszeitraum hinaus für mindestens drei Jahre auf dem Campus des Solar Decathlon Europe in Wuppertal. Sie werden zum Raum für die neue zentrale Forschungs- und Bildungseinrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen für klimagerechtes Bauen und nachhaltiges Wohnen in der Stadt der Zukunft: das Living Lab NRW. In diesem Rahmen hat das Land Nordrhein-Westfalen ein Forschungskolleg mit fünf Promotionsstellen für NRW-Hochschulen gegründet. Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden im Forschungskolleg hochrelevante Forschungsfragen in Bezug auf klimafreundliche Gebäude und Quartiere untersuchen – und damit den Weg des Gebäudesektors zur Klimaneutralität mitgestalten.

[2] https://www.energy4climate.nrw/waerme-gebaeude/initiativen-fuer-waerme-und-gebaeude-in-nrw/klimaquartiernrw

Interview mit Professorin Dr. Susanne Rexroth
Living Lab NRW: den Perspektivwechsel üben

© HTW Berlin
Professorin Dr. Susanne Rexroth lehrt im Fachgebiet „Regenerative Energien und Klimagerechtes Bauen“ an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Für Nordrhein-Westfalen war sie Jurorin beim Living Lab NRW und hatte dort (gemeinsam mit ihren Jury-Kollegen) die schwere Aufgabe, aus den vielen hervorragenden Bewerbungen fünf Forschungsansätze auszuwählen, zu denen nun im Rahmen des Living Lab NRW promoviert wird.

Im Forschungskolleg des Living Lab NRW kommen die Doktorandinnen und Doktoranden aus ganz unterschiedlichen Fachdisziplinen. Die Studierenden werden sich austauschen, voneinander lernen und vor allem auch lernen, welche Perspektive der jeweils andere einnimmt. Sie üben sozusagen den Blickwechsel – und das finde ich besonders wichtig.

Wie hat sich der Stellenwert von Klimaschutz und Nachhaltigkeit bei den Studierenden in den vergangenen Jahren verändert?

Die Studierenden, die sich zum Beispiel für den Studiengang regenerative Energien bewerben, haben sich ganz bewusst für Klimaschutz und für Nachhaltigkeit entschieden, da bin ich mir sicher. Und sie haben sich auch dafür entschieden, sich später mit ihren Qualifikationen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu engagieren. Sie wissen also schon von Anfang an, was sie machen möchten. Auch die Zahl der Studiengangwechsler, die sich gezielt für unseren Studiengang bewerben, hat sich in den vergangenen Jahren spürbar vergrößert.

Von anderen Hochschulen berichten mir Architekturkolleginnen und -kollegen, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit auch in ihrem Bereich angekommen sind. Und dass beides von den Studierenden auch eingefordert wird. Eigentlich gehört diese Themenbreite in jeden Studiengang!

Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind auch die Kernthemen im Forschungskolleg des Living Lab NRW. Was ist das Besondere an diesem Forschungskolleg?

Mit dem Forschungskolleg sind fünf Promotionsstellen verbunden. Diese fünf jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen die Demonstrationsgebäude aus dem Solar Decathlon Europe und untersuchen sie aus ihrer jeweiligen Forschungsperspektive heraus. Das Besondere ist, dass die Häuser eine Feldforschung ermöglichen, die weit über eine typische Situation im Labor hinausgeht. Die Demonstrationsgebäude vor Ort sind deshalb eine sehr wertvolle und überhaupt nicht selbstverständliche Forschungsumgebung.

Darüber hinaus werden Austausch und Vernetzung im Forschungskolleg überaus bereichernd sein. Die Doktorandinnen und Doktoranden kommen aus ganz unterschiedlichen Fachdisziplinen. Wenn sie gemeinsam aus ihren unterschiedlichen fachlichen Perspektiven auf eine Fragestellung blicken, wird diese – wie man so schön sagt – transdisziplinär betrachtet. Untersucht zum Beispiel eine Doktorandin die Regelung und Steuerung der technischen Gebäudeausrüstung aus ingenieurtechnischer Sicht, dann tangiert das durchaus auch Behaglichkeitsaspekte, die wiederum in dem Forschungsansatz eines anderen Doktoranden verankert sein können. Und beide Forschungsansätze können sich dann vielleicht in einer dritten Betrachtung finden, die sich damit befasst, was man an den Demonstrationsgebäuden vor Ort überhaupt lernen kann. Kurz: Die Studierenden werden sich in dem Forschungskolleg austauschen, voneinander lernen und vor allem auch lernen, welche Perspektive der jeweils andere einnimmt. Sie üben sozusagen den Blickwechsel – und das finde ich besonders wichtig.

Mit welchen Forschungsfragen werden sich die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen?

Was mich freut, ist, dass die Forschungsfragen die gesamte thematische Breite des klimagerechten Bauens abbilden. Zum Beispiel wird es um die Anwendungsmöglichkeiten von umfassenden und digital erfassten Gebäudedaten gehen (Building Information Modeling BIM) und um ihre Verknüpfung mit neuen Instrumenten, beispielsweise aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Modern ist auch der zeitliche Horizont der Forschungsfragen: Es wird nicht mehr ausschließlich der Betrieb eines Gebäudes betrachtet, sondern man blickt darüber hinaus und bewertet den gesamten Lebenszyklus des Hauses. Weitere Fragestellungen zielen auf das Behaglichkeitsempfinden ab oder auch auf die EU-Taxonomie, mit der die Europäische Kommission Standards für nachhaltiges Wirtschaften festlegt.

Was ich aus den Bewerbungen und eingereichten Themen für das Forschungskolleg gelernt habe, ist, dass sich die Betrachtungsweise des klimagerechten Bauens tatsächlich erweitert hat. Oder anders formuliert: Viele unterschiedliche Fachdisziplinen verorten heute ihre eigenen Themen auch im Bereich des klimagerechten Bauens. Klimagerechtes Bauen geht daher heute weit über die standardisierten Anforderungen hinaus.

Was erhoffen sich die Forschenden von ihren Arbeiten?

Man erhofft sich ja immer, dass man die Forschungsfragen beantworten kann, die einen selbst drängen und bewegen. Einfach auf dem eigenen Feld noch ein Stückchen weiterzukommen. Ein weiteres kleines Puzzleteilchen zu erarbeiten und in das große Ganze einzufügen.

Ist das Forschungskolleg auch eine Möglichkeit, die Attraktivität oder auch das Bewusstsein für das eigene Forschungsfeld in der Öffentlichkeit stärken?

Ich weiß natürlich nicht, ob sich die Kolleginnen und Kollegen das so überlegt haben. Aber ja, selbstverständlich, das Living Lab NRW ist eine fantastische Möglichkeit, mit der eigenen Forschung nochmal präsent zu werden. Und zwar eben nicht in einem Kollegenkreis oder auf Fachtagungen, wo man das sonst immer macht, sondern in einer breiten Öffentlichkeit. Diese Möglichkeit ist durch das Living Lab NRW ganz bestimmt gegeben.

Was können die Besucherinnen und Besucher des Solar Decathlon Europe und des Living Lab NRW jeweils für sich mitnehmen?

Auf dem Solar Decathlon Europe ist für die Öffentlichkeit allerhand zu sehen, denn die Häuser zeigen auf ganz unterschiedliche Weise, was heute technisch möglich ist. Das reicht von der Gebäudehülle über die installierte Technik bis hin zu Ausstattung und Möbeln. Die Studierenden zeigen mit ihren Häusern, wie wandelbar und variabel Wohnraum entwickelt und auch genutzt werden kann. Und was man deutlich sehen und auch spüren kann, ist, dass der Raumkomfort nicht darunter leiden muss, wenn klimagerechtes Bauen konsequent umgesetzt wird. Natürlich sind das pilothafte Anwendungen. Aber das sind ja genau die Anregungen, die einen dazu veranlassen können, eigene Wohngewohnheiten und Ansprüche zu überdenken.

Im Vergleich zum Solar Decathlon wird der Öffentlichkeitsstrom beim Living Lab NRW vielleicht etwas abebben. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass man sich bei dem ein oder anderen Forschungsprojekt zum Beispiel als Proband einbringen kann. Zu den Zeiten, zu denen die Gebäude zur Besichtigung geöffnet sind, eröffnet sich sicherlich auch die Möglichkeit, noch viel vertiefter zu erfahren, was die Gebäude können. Und die Doktorandinnen und Doktoranden, die dann vor Ort sind, werden bestimmt mit dem gleichen Engagement und der gleichen Freude über ihre Forschungsaktivitäten berichten, wie es die studentischen Teams beim Solar Decathlon tun.

Können Solar Decathlon und Living Lab NRW auch den Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis ankurbeln?

Das geht vor allem, wenn Entscheidungsträger, in Bauprozesse eingebundene Behörden, Bauherren und alle, die mit Wohnungsbau zu tun haben, das Angebot des Solar Decathlon und des Living Lab NRW annehmen. Sie finden auf jeden Fall Inspiration für neue und klimagerechte Vorhaben. Und ich denke, der Solar Decathlon und das Living Lab NRW bieten auch ausreichend Aspekte, die über den Wohnungsbau hinaus transferiert werden können. Gebäudehüllen mit integrierter Photovoltaik sind zum Beispiel nicht nur Thema im Wohnungsbau. Genauso die Möglichkeiten, mit möglichst geringem technischen Aufwand (ohne Klimaanlage) für ein angenehmes Raumklima und für Komfort zu sorgen. Solche Konzepte aus dem Solar Decathlon lassen sich – das eine besser, das andere weniger gut – übertragen. Die Aufgabe beim Solar Decathlon ist es ja gerade, Lösungen für den Gebäudebestand zu finden. Und ich habe es so wahrgenommen, dass man aus einigen Häusern des Solar Decathlon ganz deutlich ablesen kann, was sich auf das Bauen im Bestand übertragen lässt. Seien es einzelne Bauelemente oder das ganze Gebäude. In diesem Sinne gibt es eine ganz konkrete Übertragbarkeit in reale Bauvorhaben.

Was bedeutet das Forschungskolleg für Sie persönlich?

Als ich selbst Doktorandin war, hatte ich das große Glück, auch Teil eines Forschungskollegs zu sein. Ich habe als Architektin zu Photovoltaikmodulen promoviert – angesiedelt an der Universität der Künste in Berlin. Damals habe ich auch diesen Blick über den Tellerrand gelernt, denn auch Kunsthistoriker waren Teil des Forschungskollegs. Es war schon sehr eindrücklich, welche Fragen mir diese Kunsthistoriker gestellt haben. So ein technisches Element wie ein Photovoltaikmodul aus der Perspektive eines Kunsthistorikers betrachtet – das hat auch meinen eigenen Fokus sehr erweitert. Vor allem habe ich auch gelernt, solche Fragen zu beantworten und das eigene Wissen so verständlich zu machen, dass es auch andere Expertinnen und Experten verstehen. Insofern freue ich mich sehr für die fünf Promovierenden, die jetzt am Forschungskolleg des Living Lab NRW teilhaben und über den Tellerrand blicken werden.

Leuchtturmprojekte

Diese Projekte aus Nordrhein-Westfalen zeigen schon heute, wie urbane Energielösungen von morgen aussehen können.

Solar Decathlon Europe | Ein Blick in die Stadt der Zukunft

Nachhaltiges und klimagerechtes Bauen als Wettbewerb, in dem sich internationale Studenten-Teams miteinander messen: das ist der Solar Decathlon Europe. Ganz real bauen alle Teams ihren Entwurf eines modernen und klimafreundlichen Gebäudes auf dem Wettbewerbsgelände auf – und schaffen damit einen Ort, der einen Blick in die Stadt der Zukunft erlaubt.

Im Sommer 2022 ist Wuppertal der Austragungsort des Solar Decathlon Europe und damit internationaler Hotspot für innovative und klimafreundliche Lösungen für Gebäude und Quartiere. Sie entfalten sich vor Ort in außergewöhnlichen Designs, nachhaltigen (bis überraschenden) Baumaterialien und frischen Ideen für Wohnkonzepte.

Materialien: nachhaltig und elegant

Nachhaltige Materialien sind die Basis des Solar Decathlon Europe. Nahezu alle Gebäude sind aus Holz gebaut. Dazu kommen Dämmungen aus getrocknetem Seegras, Verputz aus Lehm oder Möbel aus Karton. Und besonders überraschend: Wandelemente und Lampenschirme aus Pilz, der ähnlich wie Ton gebrannt und damit fixiert wird.

Auch Joghurtbecher und Glasbruchstücke erfahren auf dem Solar Decathlon Europe eine erstaunliche Wandlung: Sie werden zur Küchenfront und zur Wandverkleidung im Badezimmer von unerwarteter Eleganz. Geschichte atmet auch eine Holzfassade: Ihre dunklen Eichenbalken, die früher eine Scheune formten, verleihen der heutigen Fassade eine besondere Spannung.

In ihrer neuen Denkweise sehen die Studierenden die Stadt der Zukunft als nichts Geringeres als ein „Materiallager“, aus dem durch „urban mining“ in der Stadt verbaute Baustoffe – wie Rohstoffe im Bergbau – „abgebaut“ und neu genutzt werden. Sie konzipieren ihre Häuser und die genutzten Baumaterialien deswegen nicht nur für die Lebenszeit des Gebäudes, sondern weit darüber hinaus. Verbundwerkstoffe und Verklebungen werden so weit wie möglich vermieden. Alle verwendeten Materialien sollen unkompliziert abgebaut und als Rohstoffe für neue Projekte genutzt werden können.

Natur und Technologie: ein Dream-Team

Für die Funktionen im Haus werden bei den Solar-Decathlon-Häusern Tricks aus der Natur mit moderner Technologie kombiniert. Für die Kühlung der Innenräume bei sommerlichen Temperaturen sorgen zum Beispiel bepflanzte Fassaden oder Wasser, das an fast unsichtbaren Fäden draußen vor dem Fenster wie ein Vorhang von der Decke bis zum Boden herabläuft. Solche Inspirationen aus der Natur gehen Hand in Hand mit modernen Technologien, unter anderem für Steuerungseinheiten: Automatisch gesteuerte Lamellen sorgen für ideale Belüftung und intelligente Steuerungssysteme verarbeiten Informationen aus individuellem Bewohnerverhalten und aktueller Wettervorhersage, um die Hausfunktionen perfekt darauf abzustimmen. Verglichen damit wirken Photovoltaiktechnologie und Wärmepumpen, die die Gebäude mit Strom und Wärme versorgen, fast schon konventionell.

Design und Wohnkonzepte: schickes Miteinander

Der Solar Decathlon Europe beweist auch: Design, Wohnlichkeit und Nachhaltigkeit sind ein überaus harmonisches Trio. So werden Photovoltaikelemente zum Beispiel zum Fassadenschmuck im Rautenmuster oder gar zur Fassade selbst, mit großflächiger geschmackvoller Fotodruck-Optik.

Auch bei den Wohnkonzepten setzen die Studierenden neue Akzente. In allen ihren Entwürfen finden sich offene Räume, die Platz für Gemeinschaft und soziales Miteinander bieten. Sharing-Konzepte werden großgeschrieben. Gleichzeitig sind die privaten Bereiche in den Gebäuden schon im Entwurf so angelegt, dass sie auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Singles, Paaren, Wohngemeinschaften oder Familien anpassbar sind. Möglich wird das insbesondere durch Module, die beim Gebäudebau je nach Bedarf zu unterschiedlich großen Wohnungen zusammengesetzt werden können.

Inspiration und Begeisterung: der Spirit des Solar Decathlon Europe

Der Solar Decathlon Europe ist ein Raum, in dem sich die Studierenden ausprobieren dürfen. Denn unkonventionelle Ideen führen nicht selten zu neuartigen, zuvor nicht vorstellbaren Lösungen. „Würden Sie hier einziehen?“, wird ein Ehepaar gefragt, das sich eines der Häuser anschaut. Ein skeptischer Blick. Eine Sekunde des Nachdenkens. Dann – vielleicht selbst etwas überrascht: „Warum eigentlich nicht!“ Und so wirkt der Solar Decathlon nicht nur auf die Studierenden und die Architektur-Welt, sondern inspiriert darüber hinaus auch die Menschen, über neue Arten des Wohnens nachzudenken.

Der Solar Decathlon Europe ist aber auch ein Wettbewerb. Angelehnt an den olympischen Zehnkampf werden alle Häuser in zehn Disziplinen bewertet, darunter Nachhaltigkeit, Energie-Performance, Komfort, urbane Mobilität, Architektur und Innovation. Vor diesem Hintergrund reisen die Studierenden als konkurrierende Teams zum Wettkampfort – und wachsen dort zu einem einzigen großen und internationalen Team zusammen. Denn Sieger sind sie tatsächlich alle: Sie haben Ideen und Konzepte entwickelt, technologische, fachliche und organisatorische Herausforderungen gemeistert, selbst Hand angelegt und die Häuser aufgebaut, interkulturellen Zusammenhalt erlebt – und unglaublich wertvolle Erfahrungen für die Zukunft gewonnen.

Wen wundert es also, dass die finale Preisverleihung bestimmt ist durch Euphorie und Jubel für einander. Am Schluss verlässt nicht nur Wuppertals Oberbürgermeister die Veranstaltung mit einem beschwingten Schritt und einem Lächeln im Gesicht. Alle Besucherinnen und Besucher des Solar Decathlon Europe scheint an diesem Abend im Sommer 2022 eine neu erweckte Begeisterung für die Zukunft der Städte gepackt zu haben. 

Living Lab NRW | Den Menschen und seine Bedürfnisse in den Fokus rücken

Traditionell stehen bei der Planung und dem Bau von Gebäuden vor allem physikalische und technologische Aspekte im Vordergrund. Nicht-physikalische Aspekte von Gebäuden und deren Wirkung auf das Wohlbefinden, das Nutzerverhalten und die Wohngesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner sind dagegen wenig untersucht. Das möchte das Universitätsklinikum Aachen mit dem Projekt „Quantifizierung des Potenzials nicht-physikalischer Aspekte innovativer Gebäudekonzepte auf Wohngesundheit und Nachhaltigkeit (QPoniphyAs)“ ändern. Drei Aspekte, die sich an den Gebäuden des Solar Decathlon Europe besonders gut untersuchen lassen, greift das Projekt dafür heraus: Innenraum-nahe Freiräume, Gemeinschaftsräume und Begrünung. Aspekte wie diese werden im Planungsalltag immer häufiger diskutiert und realisiert – jedoch ohne dass ihre Auswirkungen auf die Menschen bisher wissenschaftlich evaluiert oder quantifiziert wurden. Dabei sind alle drei Aspekte sowohl mit positiven als auch mit negativen Eigenschaften belegt:

  • Freiraum: frische Luft und Erholung vs. Diskomfort
  • Gemeinschaft: soziales Wohlbefinden vs. Lärmbelästigung, Zwang und Streit um Hygiene
  • Begrünung: Naturnähe und Beruhigung vs. Insekten und Pflege

Die Forschungsfrage, mit der sich QPoniphyAs beschäftigt, lautet daher: Welche Effekte haben das Vorhandensein oder das Fehlen beziehungsweise bestimmte Ausprägungen der drei Aspekte Freiraum, Gemeinschaftsraum und Begrünung auf das Wohlbefinden, das Nutzerverhalten und die physische und psychische Gesundheit? Beantwortet werden soll diese Frage mit einem ganzheitlichen Ansatz. Die Forschungsarbeit ist deshalb eingebettet in ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen Architektur, Psychologie, Medizin, Ingenieurwesen und Gesundheitsforschung. 

Living Lab NRW | Moderne Energietechnik nachhaltig gestalten

Moderne Gebäudeenergiesysteme wie Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen sorgen für eine klimafreundliche Energieversorgung im Haus – doch zum Ende ihrer Lebensdauer werden sie zu Elektroschrott und die Herstellung neuer Anlagen verursacht Treibhausgasemissionen und belastet Rohstoffreserven. Vor diesem Hintergrund untersucht die Technischen Hochschule Köln mit ihrem Projekt „Zirkularität elektrischer Gebäudeenergiesysteme (ZEnsys)“, welches Potenzial Aufbereitung und Weiternutzung von elektrotechnischen Gebäudeenergiesystemen haben und welche Randbedingungen dafür nötig sind. Welche Alterungsmechanismen sind kritisch? Welche Szenarien für Reparatur- und Weiterverwendung sind besonders sinnvoll und ressourceneffizient? Die Antworten auf Fragen wie diese sollen im Wesentlichen zu zwei Ergebnissen führen:

  1. Durch Berechnen der ökonomischen und ökologischen Energiesicherheit Parameter identifizieren, die für eine lückenlose Energieversorgung der Gebäude besonders wichtig sind.
  2. Für verschiedene Szenarien zur Wieder- und Weiterverwendung Zuverlässigkeitseffekte wie Lebensdauer und Alterung bewerten, durch identifizierte Lücken Innovationspotenziale aufzeigen und dadurch insgesamt Entwicklungspfade hin zu einer Kreislaufwirtschaft für Gebäudeenergiesysteme ableiten.

Living Lab NRW | Lehre und Ausbildung mit digitalen Simulationsmedien verbessern

Die Lehre und Ausbildung für klimagerechtes Bauen und regenerative Energien in der Gebäudetechnik verbessern – das ist das Ziel des Projekts „Best Practice Learning mittels digitalem Zwilling (accessLIVINGLAB)“ der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Konkret geht es dabei um Wissenstransfer sowie um die enge Verzahnung der Lehre an Hochschulen mit der gewerblich-technischen Ausbildung. Im Rahmen von accessLIVINGLAB sollen deshalb Aufgabenstellungen entwickelt und evaluiert werden, an denen Studierende aus den Ingenieurwissenschaften mit Lernenden aus dem gewerblich-technischen Bereich zusammenarbeiten und gemeinsam ihre Kompetenzen erweitern.

Ausdrücklich ist dabei an Projektaufgaben gedacht, die vollständige Handlungsstränge beinhalten, vom Informieren und Planen über Umsetzen und Kontrollieren bis hin zum Reflektieren. Durch die eingebundenen, realen Demonstrationsgebäude des Solar Decathlon Europe sind Untersuchungen und Arbeiten vor Ort möglich. Ein besonderer Schwerpunkt im Projekt liegt jedoch auch auf digitalen Simulationsmedien: Die Gebäude werden über eine dreidimensionale Simulation virtuell begehbar. Zudem sind über ein digitales Gebäudemodell alle Bauwerksdaten vollständig vorhanden und anschaulich modelliert (BIM, Building Information Modeling). Digital verfügbar sind außerdem relevante Messdaten zu Klima und Verbrauch. So entsteht ein digitaler Zwilling der Versuchsgebäude, mit dessen Hilfe die Studierenden und Auszubildenden bauliche und technische Lösungen reflektieren und eigene Überlegungen zum klimagerechten Bauen entwickeln und untersuchen können.

Die über accessLIVINGLAB entwickelten Aufgabenstellungen und Projektarbeiten sollen nach ihrer Fertigstellung und Evaluation Bildungsstätten wie Hochschulen, Planerkammern, Handwerkskammern und überbetrieblichen Ausbildungsstätten, die im Bereich klimagerechtes Bauen aktiv sind, zur Verfügung gestellt werden.

Impressionen vom Solar Decathlon Europe 2022
Wuppertal

Panorama der Energieforschung in Nordrhein-Westfalen
Highlights und Leuchtturmprojekte kennenlernen

Energieforschungsbericht 2021

zum Bericht

Energieforschungsbericht 2020

zum Bericht
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  • Leuchtturm „Ein Blick in die Stadt der Zukunft“: © PtJ/A. Köbler
  • Leuchtturm „Den Menschen und seine Bedürfnisse in den Fokus rücken“: © Antonioguillem – stock.adobe.com
  • Leuchtturm „Moderne Energietechnik nachhaltig gestalten“: © stokkete – stock.adobe.com
  • Leuchtturm „Lehre und Ausbildung mit digitalen Simulationsmedien verbessern“: © Robert Kneschke – stock.adobe.com
  • Impressionen vom Solar Decathlon Europe 2022: © PtJ/A. Köbler
  • Energieforschungsbericht 2021: © MWIDE NRW/M. Kusch
  • Energieforschungsbericht 2020: © MWIDE NRW/D. Hackenberg